MÜNCHNER SCHICHTEN

Folge 3: Die große Freiheit

Benno Heisel

Sarah: die Kreative

Jessica: die Social-Workerin

Parka: der Vermieter. Er betreibt keinen Co-Working Space, sondern natürlich einen Inkubator.

Ein Co-Working Space. Die Damen kennen sich besser, aber nicht gerade in- und auswendig. Parka lässt die beiden rein, ist etwas in Eile und fahrig.

Parka:
So, bitteschön. Und da könnt ihr arbeiten. Soll ich euch noch die Teeküche zeigen oder so?


Sarah:
Danke, passt alles. Wir wollen ja nur mal reinschnuppern.

Parka: 
Ja eben drum.

Jessica:
Danke. Ist jetzt erstmal wirklich nur für heute.

Sarah:
Ich kann nicht in mein Studio. Zwanzig hatten wir gesagt, oder?

Parka:
Passt. Mir ist alles recht. Also ihr habt eine halbe Stunde, bis mein Termin anfängt.

Jessica: 
Also? Worum geht es?

Sarah:
Ich hätte dich gerne bei einem kleinen Projekt dabei. Projekt ist eigentlich zu viel. Es geht darum, bei einem Ideenwettbewerb mitzumachen. Inklusion. Einfache Sprache.

Jessica:
Leichte Sprache, nehm ich an. Egal. Gibt beides. Red weiter.

Sarah:
Also es geht um einen Image-Clip für das Arbeitsamt. Agentur. Also bei dem Ideenwettbewerb wird erst einmal ein Konzept eingereicht, mit ein paar Storyboards. Und das Ziel ist es, Leuten, die Probleme haben mit der Sprache so eine Einführung zu geben, was die Arbeitsagentur ist.

Jessica:
OK.

Sarah:
Und was es für Angebote gibt.

Jessica:
Für wen jetzt?

Sarah:
Genau.

Jessica:
Hm?

Sarah: 
Genau, das ist die Frage. Darum bist Du hier. Weil Du neulich erwähnt hattest, dass du so frustriert warst beim Arbeitsamt.

Jessica:
Deswegen... Egal, sprich erstmal weiter.

Sarah:
Gut. Aber ich will da gleich drüber reden. Also: der Wettbewerb. „Arbeit für alle“ Bla bla bla. „Die Bundesagentur für Arbeit ist zuständig für alle Menschen in Deutschland. Aber zu viele erreichen wir nicht. Jadijada. Du kennst dich aus mit Inklusion und leichter Sprache, bist energetisch und zielstrebig? Nimm teil an unserem Wettbewerb „Arbeit für alle!“ Sag uns, wer wir sein sollen! Und dann nur noch Kleingedrucktes. Also sie wollen einfach so eine Mischung aus Kampagne für Inklusion und behaupten zumindest, dass sie auch wirklich was verändern wollen. Und jetzt zeig ich dir noch kurz was, dann reden wir drüber. Nur als Beispiel. Der Boden der Tatsachen.

Hier ist der Moment für den Originalfilm. Nicht unbedingt ganz oder so. Nur für die Schönheit und den Groove. https://www.youtube.com/watch?v=WMedlmr6f60 Wenn wir zurück sind:

Jessica:
OK, also so was soll es werden?

Sarah:
Das ist ein Ausgangspunkt. Aber in erster Linie find ich es einfach so geiles Material.

Jessica:
Für?

Sarah:
Das Leben! Die Freiheit. Es gibt mir Struktur und Halt.

Jessica:
Mhm. Ich hab viele Gefühle dazu. Ich sag dir jetzt kurz, was ich mit der Agentur verbinde. Ich begleite immer wieder Leute dorthin. Und ganz oft bin ich bei Herrn Hanisch im Zimmer. Zone Gelb. Zimmer 2.14. Das ganze Zimmer voll mit Plakaten vom Sommertheater im Englischen Garten. Seine Tochter. Herr Hanisch ist stolz. Herr Hanisch ist bedächtig. Und er freut sich, wenn er über Geschichte sprechen darf. Fast immer weiß er, was an dem Geburtsdatum der Person, die ich begleite noch passiert ist. 1648. 1912. Am 14. Februar 1343 hat Machtolf von Güldstein... Es ist schön dort. Faszinierend. Voller Zettel. Und Mittags, das hat er mir gezeigt, geht es nicht mehr in die Kantine. Weil die renoviert wird. Nein, es gibt jetzt McDonalds-Gutscheine, vorübergehend. Aber für ihn ist das OK. Nur mit der Figur, na ja. Aber bald soll es auch ein Fitnessstudio geben, für die Angestellten. Vielleicht probiert er jetzt aber wirklich mal Yoga. Was macht der da? Also wirklich? Was mach ich da? Wer hilft hier wem? Und auch die Person, die ich begleite, lächelt. Ein schleichender Übergang in eine alles erstickende Versöhnung. Alles in allem: Ich hab, sobald ich überhaupt nur die farbigen Zonen vor Augen habe, so eine Welle von Mitleid in mir. Mit den Leuten da, mit mir selber. Wir stecken alle drei in dieser Verhältnismäßigkeitskiste und warten dass jemand nachguckt, ob wir noch leben. Ich mag diese Zustände nicht, in die mich das versetzt. Ich ertrag die nicht. Ich mein, kennst Du das? Warst Du schon mal da?

Sarah:
Machst du Witze? Ich bin eine Filmemacherin Mitte dreissig in München und Du fragst mich ob ich schon mal auf dem Arbeitsamt war? Ich bin da jedes Jahr mehrfach. Arbeitssuchend. Abmelden. Anmelden.

Jessica:
Eben.

Sarah:
Eben! Der einzige Weg, die ganze Scheiße aus der Welt zu kriegen ist doch, sie durch was Besseres zu ersetzen! Nicht immer nur Reagieren, immer nur Defensive und so.

Jessica:
Ich weiß nicht. Ich steh gerade an einem komischen Punkt. Ich fühl mich, als hätte ich bei einer Castingshow verloren, um gerade hier zu sein. In München, mein ich.  Über die Verlierer zu lachen, die dort gewonnen haben ist ja ganz nett, aber ich geb mich auch ungern geschlagen. Ich mein, schau dir das an. Warum denk ich gerade an Hamsterbälle?

Sarah: 
Gut, ich muss woanders ansetzen. Ich finde es ganz ehrlich einfach so pur, so sauber, rein, clean wie auch immer, bei einem Ideenwettbewerb von der Bundesagentur für Arbeit mitzumachen. „Arbeit für alle!“ So ein schickes Plakat an der Zonengrenze. Direkt auf dem Bruch zwischen grün und blau. „Sag uns, wer wir sein sollen“. Und weißt Du, in diesem ganzen Gebäude gibt es sonst nicht für mich, außer diesem Auftrag zur Beobachtung der Menschen. Und auch den Auftrag muss ich mir selbst geben. Nur als Beispiel: wenn ich was mit meinem Beruf verdiene muss ich ein Formular ausfüllen, das heißt „Nebeneinkünfte aus Forst- und Fischereiwesen“. Kennst Du das? Nur, dass wir uns richtig verstehen. Das ist das richtige Formular für Einkünfte aus künstlerischen Berufen. Forst- und Fischereiwesen.

Jessica:
Die Formulare beim Arbeitsamt gäbe es für mich schon. Nur die Versicherungen nicht. Auch so eine Marktlücke: Eine Haftpflicht für Leute, die es gut gemeint haben. Ich glaube, das würde funktionieren. Das Gewissen privatisieren. Statt Spenden. Tschuldige. Ich bin echt heute irgendwo anders. „Ein Plakat zwischen den Zonen grün und blau“?

Sarah:
OK. Ja. Also der Punkt ist der: Ich bin im Arbeitsamt und ich werde dazu aufgefordert, mir selbst einen Auftrag zu geben. Ideenwettbewerb. Das war jetzt erstmal alles, worauf ich hinaus wollte. Und ganz ehrlich, irgendwie fand ich das so rührend. Weißt Du, ich bin so ein Mensch ... der Sätze mit „ich bin so ein Mensch“ beginnt. Oh Mann, mal einen Moment nicht differenzieren. Ich hab einen einfach Leitsatz, damit ich nicht wahnsinnig werde: „Erkläre nie mit Bosheit, was man mit Dummheit ebenso gut erklären kann.“ Und diese Ausschreibung, die klingt erstmal böse und perfid, aber kann auch einfach noch blöd sein. Und wenn sie blöd ist, ist sie rührend.
Ich stand also vor diesem Plakat, wo die Bundesagentur für Arbeit mich, und uns alle, auffordert, unsere Besten Ideen einzureichen. Unsere besten Ideen dazu, wie wir sie sehen wollen. Diese Behörde. Und natürlich steht da nicht so recht, was der Preis ist, weil sie wollen sich natürlich nicht festlegen oder so. Aber dieser Moment, wo sich der Staat zu mir herunterbeugt und mir zuflüstert: Hey, wir machen schon sehr viel für uns alle, aber sag doch, wie wir noch besser werden können. Aber den Auftrag dazu, denn musst du dir schon selbst erteilen. Das hat sich mir eingebrannt. Und deshalb möchte ich das machen. Ne, ich muss.

Textauszüge aus dem Theatertext Die große Freiheit

Premiere 6.12.2018 im Rahmen der Theaterserie Münchner Schichten