DRAG ME OUT

Jan Geiger

Das ist es was du eigentlich tust: Du exerzierst Selbstvernichtung und schaust dir dabei im Spiegel zu. Wenn es nun regnet, darf es niemals aufhören und ganz München sollte in einer Welle, die sich aus dem geborstenen Sylvensteinspeicher ergießt ausgelöscht werden. Nichts soll bleiben außer dem Schotter, auf dem die Mönche ihre Stadt gründeten. Der Eisbach zieht sich wie eine unterkühlte Ader durch München. Kein Puls. nichts, nur stetes Strömen und Reißen. Ein paar Surfer und das Haus der Kunst, manchmal ertrinkt einer. Man muss den Körper abhärten, wie man sich in München abhärtet, wenn man sich die ganze Zeit gegenseitig auf den Füßen steht. Man muss sich breit machen, auch wenn alles klein wird, du musst leuchten und Glänzen und trotzdem nach innen hinein ein Loch bilden, in dem du versinken kannst. Wo all das hingehört, das keinen Platz hat. Am besten, du besitzt nichts. Am besten, du wirst ein Mönch, Am besten du willst nichts. Oder alles. Dazwischen besser nichts.

 

Es gab in Japan eine Art des Selbstmumifizierens: Sokushinbutsu. Ein Mensch, ein Mönch, meditierte jahrelang, 1000 Tage. 1000 Tage meditieren, das ist für einen Mönch nicht viel. Ich meine, das reißt ja jeder von denen mal so runter. Sogar unsere christlichen Mönche bekommen das hin, weil die ja auch alle in Zen machen und so, mittlerweile. Aber dann fängt es erst an: 1000 Tage wenig essen, 1000 Tage hungern und dann giftigen Tee trinken. Dann wirst du eingemauert. Sie mauern dich ein und alles was du tust, ist, jeden Tag ein Glöckchen zum Klingen bringen. Und sonst meditierst du und hast deinen Körper schon so sehr vergiftet und verwandelt, dass du dich gar nicht mehr bewegen musst, so sehr verwandelt, dass du im Lotussitz eingemauert sitzen kannst, ohne völlig im Wahnsinn zu versinken. Aber vielleicht musst du auch in völliges Delirium verschwimmen, wenn du eine solche Sache beginnst. Nichts kann dich darauf vorbereiten, glaube ich, außer vielleicht jahrelanges Meditieren und Gift Trinken, Hungern. Vielleicht ist es auch gar kein Leiden mehr: Schon nach kurzer Zeit, hoffe ich, transzendiert der Mönch das irdische Leid, er versinkt darin so tief, dass er auf der anderen Seite auftaucht, wie Wasser auf Öl schwimmt. Und dann, wenn du nicht mehr klingelst, dann versiegeln die Mönche die Gruft. Wenn du dann mumifiziert bist, wenn dein Körper also überdauert hat, wenn die Mönche die Gruft nach tausend Tagen wieder öffnen, dann bist du ein Buddha und hast den Weg ins Nirvana gefunden. Ich werde das sicher nicht tun. Auch wenn die sicher wenig Miete zahlten. Gift trinken, jahrelang hungern. Aber es ist ja auch nur eine Art sein Leben zu verbringen. Klar bin ich überspannt. Klar, klar… alle werden sagen: die Alte ist komplett durchgeknallt. Max, du bist komplett durch. Die alte Bitch hat nicht mehr alle Latten am Zaun.

 

Und trotzdem fühle ich mich als hätte ich jahrelang Gift getrunken. Da musst du erst aus deiner Wohnung fliegen, um das zu merken, dass du nicht atmen kannst, dass sie dich lebendig begraben haben. Und klar hätte ich ausziehen sollen. Ich meine, da trennst du dich. Und rennst immer ins Fitnessstudio, damit du ihn nicht sehen musst, und plötzlich ist das der einzige Ort, wo du hingehen kannst. Und dann nimmst du alle deine Dinge, die er dir auf die Straße gestellt hat und stehst da… Ich sollte wirklich nicht so viele Dinge haben. Jetzt weiß ich, dass mich die Dinge besitzen. jetzt haben sie mich. das ist keine Metapher. ich bin wirklich gefickt. Ich habe die ganzen Sachen und werde sie nicht los. ich habe keinen Ort dafür. Der Ort ist weg und Dinge ohne Ort sind Schrott. Also, das ist die Definition von Müll. da gibts einen Kalender/Twitter Spruch dazu. Ist ja eigentlich das gleiche.

 

Man fühlt sich ja gefangen, eingeschlossen. Klar kannst du raus, aber du bist immer drin. Es ist so eine Art Knast: Die Exbeziehung, die dich fertig macht. Du hast sie beendet, weil sie dich fertig macht und dann macht sie dich noch mehr fertig, weil du eigentlich nicht rauskommst. Es ist wie Gift trinken. Jeden Tag Gift trinken.

Er kann mich doch nicht einfach vor die Tür setzen. ist das erlaubt? Also rein rechtlich? Ich glaube nicht. ich glaube er darf das nicht. und meine Sachen in den Regen stellen? Ganz sicher nicht. Immer hin hat sich dadurch meine Zeitschriftensammlung erledigt. die bleibt jetzt einfach in Giesing hängen. Zack. Und ich. Ich bleibe sicher nicht in Giesing hängen. Wie ich diesen Haufen hasse. Und diesen Typen. Und 60. Fuck. Ständig diese Arschlöcher. Arbeiterviertel my Ass. Klar kannst du hier wohnen bleiben, bis du was hast, klar kannst du, wir sind ja weiterhin Freunde. Einmal möchte ich einen Ex haben, der sich durchsetzt. Er hätte mich gleich rauswerfen sollen, nicht ein Jahr später. Ich weiß, ich bin ja auch selbst schuld, also mit Schuld. Aber du findest dich dann plötzlich in so einer Sache gefangen, also nicht in den Dingen, schon auch in den Dingen. Und dann arbeitest du, und machst und tust, und tanzt und triffst dich und arrangierst dich. Ich meine, ich war noch nie so konsequent was den Sport angeht: Wenn er nach Hause kommt, gehe ich zum Sport, wenn er einen zum Ficken da hat, gehe ich zum Sport. Mein Bizeps sah noch nie so gut aus, sagt Max und betrachtet sich im Spiegel, posiert für die Zuschauer, für alle anderen im Studio, ungeniert und stolz.

Also wirklich, sagt er und posiert vor einem Spiegel, hat eine Zimmerpflanze in der Hand. Er sieht sich ein bisschen traurig an, wie ein Clown, der gerade seinen stolpernden Bruder bemitleidet, um es ihm im gleichen Moment nach zu tun, als sei er ein Spiegelbild. Und klar, hätte ich etwas mehr suchen können.

 

Und du stehst am Eisbach und siehst den Surfern zu und springst rein und lässt dich treiben. Und dann gibt es diesen Moment: du überlegst, ob du einfach für immer liegen bleibst und wartest wo es dich hintreibt, zu Meer natürlich, ins Schwarze Meer. Einfach nicht mehr wollen, einfach Aufgeben als Strategie. Aber es ist wohl nur die Depression. Sich mit Salz und Tang bedecken wollen. Ist aber auch ein weiter Weg, bis dahin.

 

Aber ich habe gesucht, und dann brauchst du aber eine Wohnung, wo du wenigstens ein bisschen leben kannst., also nicht nur ein Zimmer und dann willst du das bezahlen können. Und wir haben ja gemeinsam den Mietvertrag: Und jetzt ist die Frage, wer da auszieht. Aber, dass er mir dann einfach die Sachen vor die Füße wirft:  Hier hast du deinen Scheiß hier nimm‘ und verpiss dich und geh, mach das du weg kommst, nimm deine Fummel und dein Makeup und die Perücken und mach das du raus kommst. Und das nur, weil ich ihm gesagt habe, dass ich es nicht mehr aushalte. Es ist natürlich… es ist seine Wohnung, und wenn ich es nicht aushalte, dann muss ich natürlich gehen.