COULD BE WORSE

Barbara te Kock

Figuren: Entscheiderin, Übersetzer, das Publikum


Auf der Bühne befinden sich zwei Stühle und ein Tisch. Sonst nichts. Aus dem Off hört man die Unterhaltung zweier Menschen, einem Mann und einer Frau, die sich der Bühne nähern. Quer durchs Publikum.

ENTSCHEIDERIN Ne, also bei mir läuten sofort die Alarmglocken, wenn die Geschichte zu konstruiert wirkt. Dann glaub ich sie einfach nicht mehr, das ist Fakt.  

ÜBERSETZER Kann man denn nicht einfach nachgoogeln, wenn man zweifelt? 

ENTSCHEIDERIN Mache ich doch längst. Wenn die sagen, sie waren bei ner NGO im Widerstand, dann check ich parallel ab, ob die NGO überhaupt existiert. Auch wenn ich weiß, dass die vor der Anhörung da auch nachgegoogelt haben. Die sind ja nicht blöd.

ÜBERSETZER Und wenn jemand behauptet, er steht da nur nicht mehr auf der Homepage, weil er jetzt ja hier in Deutschland ist und gerade von dir angehört wird? Was ja eigentlich ganz logisch klingt, denke ich gerade, was mach´ste dann? Das ist doch immer so eine Gratwanderung.

ENTSCHEIDERIN  Bauchgefühl, wenn´s hart auf hart kommt. Bei mir zählt immer nur Bauchgefühl.
Wenn du natürlich keinen Zugang zu deinen Gefühlen hast, musst du in diese  Glaubwürdigkeitsseminare gehen. Also wenn du gar kein Talent dafür hast.
Wie fand´ste den Gemüseauflauf vorhin? Der sah aus wie er geschmeckt hat, grau in grau, grauenhaft. Und ich dachte noch “iss was Vernünftiges, damit du dann vernünftige Entscheidungen treffen kannst”. 

ÜBERSETZER Ich hatte gar keinen, ich hatte Couscous-Salat mit frischer Minze, Hauch Curry...

ENTSCHEIDERIN Mir liegt Albanien noch im Magen, wenn ich ehrlich bin. Das klingt immer so fremd, was die erzählen. So mittelalterlich brutal.

ÜBERSETZER Diese Blutrachegeschichten meinst du, ja, die sind grauenhaft, auch wenn sie aus dem kulturellen Kontext heraus betrachtet für die Betroffenen eigentlich ganz normal sind.

ENTSCHEIDERIN Klingt jetzt auch blöd, aber das vorhin mit den Albanern war in der Tat wie ein brutaler und, gebe ich gerne zu, sehr spannender Tatort. Den ich jetzt nur blöderweise selbst zu Ende schreiben muss. Also ich bin hier doch nicht die Geschichtenerfinderin.

Die beiden betreten die Bühne, legen ihre Akten auf dem Tisch ab und setzen sich.

ÜBERSETZER Bist du dann ähm schon bereit für Afghanistan? Oder willst du erst noch Albanien verdauen? (lacht unsicher) Wußte gar nicht, dass du jetzt auch Albanien machst, ehrlich gesagt...

ENTSCHEIDERIN ...weißt du, im Moment mach ich alles und jeden. Ich kann morgens nicht mal mehr entscheiden, was ich frühstücken soll. Oder welche Bluse ich anziehen soll, oder was für ein Handy, welchen Film auf Netflix. Oder ob ich den Kinderwunsch final ad acta legen soll, obwohl ich meine Eizellen ja habe einfrieren lassen und theoretisch noch bis Ende fünfzig Mutter werden könnte, aber der Flieger ist noch nicht voll. Kaffee wär auch nicht schlecht, wenn ich ihn vertragen würde. Frage an mich selbst Doppelpunkt - bin ich jetzt gleich wieder nur der Zuschauer einer verzweifelten Performance oder bin ich sogar ihr Auslöser? Absatz Antwort an alle Anwesenden Doppelpunkt - einer muss ja selektieren, was gut oder böse ist, also bringen wir es hinter uns.

ÜBERSETZER Soll ich dir einen holen? Einen Kaffee?

ENTSCHEIDERIN Ich vertrag doch keinen Kaffee jetzt mit dem Magen. Du musst schon genau hinhören, wenn du hier was erreichen willst. Nein, Danke!

Die Entscheiderin blickt zum ersten Mal ins Publikum und mustert es aufmerksam.

ENTSCHEIDERIN Wie ist ihre Staatsangehörigkeit und welche Religion haben sie?

Pause in der Länge einer Antwort. Ü und E schauen jetzt beide aufmerksam ins Publikum.

ÜBERSETZER Sie sagt, ihre Staatsangehörigkeit ist Afghanistan und ihre Religion Christ.

ENTSCHEIDERIN Kann sie mir bitte ihre Lieblingsstelle in der Bibel sagen?

Pause in der Länge einer kurzen Antwort.

ÜBERSETZER Sie hat keine.

Ab jetzt werden alle Textstellen, die mit “Frage Doppelpunkt” oder “Antwort Doppelpunkt” beginnen, in ein Mikrofon oder ein Aufnahmegerät gesprochen.

ENTSCHEIDERIN Danke.(in ein Mikrofon) Antwort Doppelpunkt, ich kenne die Bibel nicht.-
(zum Übersetzer) Das Vater unser auch nicht?

ÜBERSETZER Vater unser im Himmel (Pause), geheiligt werde dein Name (Pause), dein Reich komme (Pause), dein Wille geschehe. Wie im Himmel so auf Erden, unser tägliches Brot gib uns heute, und vergib uns unsere Schuld (Pause), wie auch wir vergeben unseren Schuldigern...

Die Entscheiderin übergibt sich fast, während der Übersetzer das Vater Unser herunterbetet. Ihr folgender Monolog überschneidet sich am Anfang mit dem Gebet des Übersetzers.

ENTSCHEIDERIN Klar bin ich hier die Böse für die. Und ich mach´s ja auch,wenn die oben sagen, mach mal den Flieger voll, wir haben noch 69 Plätze freiaber bitte keine Schwerverbrecher, wir sind unterbesetzt, das wird ein Familienflieger, jede Menge Rollatoren und Babyschalen bereitstellen (springt auf) klopf klingel hämmer an die Tür um vier Uhr morgens! /Sie haben 30 Minuten Zeit. Wo ist ihr Mann?/ Ich weiß nicht, ich hab 3 von 5 Kinder in Deutschland geboren, seit 14 Jahren leben wir in Neuperlach, ich weiß nicht, wo gehen hin.Ich habe gar nix, gar nix./ Sie haben 20 kg pro Person, alles, was in diesen karierten Plastiktaschen keinen Platz findet, muss da bleiben./Ich bin ein Mensch! / Mama, ich will aber mein neues Fahrrad mitnehmen.../ Eine Kuchen. Ich hab eine Kuchen gebacken. Was soll ich mit dem jetzt machen? In die Tasche werfen?/Wer ist die alte Frau?/Meine Mutter, sieist Besuch./Die muss dann alleine auf eigene Kosten zurückreisen. Lassen sie ihr doch den Kuchen da, dann hat sie was zu essen/ .Aufstehen, Schatzi, Schatzilein aufstehen/Aber ich hab morgen Klassenfahrt, Mama, warum, warum...?”

Stille. Der Übersetzer mustert sie besorgt bis irritiert.

ÜBERSETZER Willst du vielleicht doch erst die Albaner abschließen?

ENTSCHEIDERIN Das hier ist meine Rolle. Gesetz ist Gesetz. MeineKirschtomatenverrecken hier ja auch regelmäßig, verstehst du? Jedes Jahr dasselbe Katastrophenszenario, nur weil sie sich hier nicht zu Hause fühlen.Die packen´s hier einfach nicht. Erst recht nicht, wenn irgendein Beamter sich dazu berufen fühlt, das Gewächs dauernd nachzugießen. Ersäufen hat noch niemanden gerettet. - Willst du eine? (reicht ihm eine Tomate) Probier mal. Eigene Züchtung.

Der Übersetzer nimmt die Tomate zögernd entgegen und isst sie notgedrungen, bevor er weiterspricht.

ÜBERSETZER Also sie hat gesagt, sie ist auf dem Nachhauseweg von den Taliban gekidnappt worden. Zusammen mit 10 anderen Frauen. Aber sie konnte fliehen. Danach. Noch in derselben Nacht. Also nachdem vier von ihnen, darunter sie, vergewaltigt worden waren.

ENTSCHEIDERIN (in ein Mikrofon) Frage Doppelpunkt, haben die anderen Frauen es auch geschafft, zu fliehen? (zum Übersetzer) Und? Schmecken sie dir?

Der Übersetzer nickt. Schüttelt dann entschieden den Kopf.

ÜBERSETZER Nur zwei von ihnen.

ENTSCHEIDERIN Wollten die anderen Frauen nicht fliehen?

ÜBERSETZER Die anderen sind getötet worden.

ENTSCHEIDERIN Oh mein Gott aha. (lacht kurz auf) Und wie genau? Und warum nicht sie...?

ÜBERSETZER Sie konnte fliehen, während die anderen getötet wurden. Einer Frau wurde der Kopf mit einem Schwert abgeschnitten, einer anderen mit dem Schwert eines anderen mitten ins Herz gestochen, wieder eine andere wehrte sich und wurde dann nach draußen gezerrt. Das war auch der Moment, in dem unsere Afghanin unbemerkt fliehen konnte.

ENTSCHEIDERIN Ja jetzt nicht einfach so zack zack zack und dann ist das passiert und dann vergewaltigt und dann der Kopf von der Freundin ab und so weiter, bisschen mehr Zwischentöne hätte ich schon gerne wahrgenommen. Ich weiß, das ist immer eine Gratwanderung zwischen zu viel und zu wenig Drama. Aber wenigstens Farbfilm, verdammt nochmal. Das fühlt sich alles an wie ein Schwarzweißstummfilm aus den 20gern ohne Klavierbegleitung, völlig unauthentisch. Ich will andocken können an ihre Geschichte, sonst glaub ich das doch alles nicht. Das berührt mich sonst alles nicht.

ÜBERSETZER In der Übersetzung geht immer was verloren, wenn du das mit Farbfilm meinst. Außerdem ist das Jahre her mit der Vergewaltigung.

ENTSCHEIDERIN Aber das gerade war mir zu aufgezählt und so überhaupt nicht authentisch performt. Von euch beiden nicht. Da fehlt mir der Leidensdruck, wenn man es so salopp wegerzählen kann. Empfinde ich so. ( in ein Mikrofon) Frage Doppelpunkt, kann sie mir jetzt bitte den Raum zeichnen, in dem sie vergewaltigt wurde? (zum Übersetzer) Das ist jetzt zum Beispiel so ein Trick aus dem Glaubwürdigkeitsseminar. Es prägt sich wohl ein, wenn man den ganzen Tag in der Zelle oder im Erdloch sitzt und die Wand anstarrt. Ich konnte mein Büro zwar nicht zeichnen, als ich es sollte,aber ich bin mir sicher, ich könnte es, wenn das mein Leben retten würde.

ÜBERSETZER Sie sagt, sie kann sich nicht erinnern.

ENTSCHEIDERIN Sie soll sich anstrengen.

ÜBERSETZER Können wir Pause machen? Sie fängt an zu weinen.

ENTSCHEIDERIN Jetzt schon? Nur weil sie sich nicht erinnern will gleich diese “hallo-ich-hab-ein-Trauma- bohr-ja-nicht-nach”-Attitüde einnehmen. Das ist mir zu plakativ. Richtig vorbereitet habt ihr euch dann aber wirklich nicht. (in ein Mikrofon) Absatz Anwort Doppelpunkt, ich weiß nicht, wie der Raum aussah, in dem ich gefangen gehalten und vergewaltigt wurde.
(in ein Mikrofon) Und Frage Doppelpunkt, warum sind Sie nicht einfach in eine andere Provinz geflohen, sondern ausgerechnet nach Deutschland? (zum Übersetzer) Wenn es schwierig wird, so wie jetzt gerade, stell ich mir immer vor, ich sei Columbo. Den hab ich als Einzelkind immer mit meinen Eltern geguckt. Ich dreh dann den Kopf so schief und blinzle, bevor ich weiterfrage. (ins Publikum) Ihr kennt den doch, oder. Das ist der mit dem beigen Trenchcoat. Die Ruhe selbst.

ÜBERSETZER Ich wurde schwanger! Herr Columbo.

ENTSCHEIDERIN Ja und? Weiter!

ÜBERSETZER Meine Familie hätte mich nicht mehr aufgenommen mit einem Kind. Ich hätte als Prostituierte arbeiten müssen, was ichnicht wollte. Außerdem bin ich Christin.

ENTSCHEIDERIN (in ein Mikrofon) Absatz Antwort Doppelpunkt, ich will nicht als Prostituierte arbeiten. (ins Publikum) Ja, ich auch nicht. Aber gibt definitv Schlimmeres. - Beschreiben sie mir jetzt bitte ihre Fluchtroute. So episch wie möglich, wenn sie eine Chance haben wollen. Und bitte...!

Angespannte Stille. Es dauert, bis der Übersetzer einer epischen Variante mächtig ist.

ÜBERSETZER.... zu Fuß über die grüne Grenze in den Iran. Ohne Schuhe. Dann mit dem Auto weiter: Ein alter, himmelblauer Opel Corsa, an dem der Lack in Form eines explodierenden Herzens abblätterte. Dann ein Lieferwagen Marke Mercedes. Einschusslöcher in den Seitentüren. Getrocknetes Blut auf dem Rücksitz, auf dem sie liegen musste. Weiter bis in die Türkei.Dann Griechenland. Mazedonien. Serbien. Ungarn. Bei Regen und Kälte. Der Hunger so stark, dass sie die dottergelbe Polsterung der Sitze zu Kügelchen formte und sie wie kleine Pillen schluckte. Durch den Türschlitz der losen Tür konnte sie die rostigen Schienen sehen, an denen sie entlangfuhren. Die Tage vergingen schneller als die Nächte, weil sie dann nichts sehen konnte. Die letzten Kilometer ritt sie auf einem hinkenden Esel, dessen blutende Hufe eine rote Spur im Wüstensand hinterließen. Wie der rote Faden ihrer Leidensgeschichte, die hier eigentlich enden sollte.

ENTSCHEIDERIN Ein roter Faden aus dem Blut eines Esels, ich bin wirklich beeindruckt.
(ins Mikrofon) Frage Doppelpunkt: Haben sie eine Schule besucht?

ÜBERSETZER Ja. Zwei Jahre.

ENTSCHEIDERIN Ist ja schon ´n bisschen unglaubwürdig, dass sie dann die Namen all dieser Länder weiß, wo sie doch gar nicht gebildet ist.(lacht in sich hinein) , (in ein Mikrofon) Frage Doppelpunkt Und sie waren die ganze Zeit schwanger auf der Flucht? War das nicht unglaublich anstrengend? Wo ist denn ihr Kind jetzt? Ist es ein Mädchen oder ein Junge?

ÜBERSETZER Ich habe mein Kind auf der Flucht verloren! Es ist tot.

Textauszüge aus dem Theatertext COULD BE WORSE

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